Eltern von heute wollen ihren Kindern auf Augenhöhe begegnen. Sie nehmen ihre Bedürfnisse ernst und bemühen sich um einen respektvollen Umgangston.

 

Ob abwechselnde Krankenstände zur Grippezeit, lange Ferien oder ein Ausnahmezustand aufgrund der aktuellen Corona-Krise. Besonders wenn wir zu Hause für einen längeren Zeitraum ganz auf uns alleine gestellt sind und sehr viel Zeit miteinander verbringen, können Frust und Konflikte vermehrt auftreten.

 

Anlässlich der Covid-19-bedingten Ausgangsbeschränkungen durfte ich der Familientherapeutin Verena Gutknecht einige Fragen stellen. Es geht darum, wie eine „gemeinsame Zeit ohne Auszeit“ harmonisch gestaltet werden kann und welchen Beitrag die täglichen Mahlzeiten dazu leisten.

 

Denn gewöhnliche Haushaltstätigkeiten und gemeinsame Mahlzeiten sind mehr denn je eine Chance, zusammenzuwachsen und gestärkt aus dieser Situation herauszugehen.

 

In meinem Beitrag 7 Tipps für das Kochen mit (kleinen) Kindern – so macht es allen Spaß! habe ich Tipps zusammengefasst, damit das Kochen mit Kleinkind entspannt abläuft. Für Mama und Kind.

 

1. Frau Mag. Gutknecht, was ist Ihr ultimativer Survival-Tipp für Familien, die eine lange Zeit auf engem Raum – ohne Unterstützung von außen – miteinander verbringen?

Erstmal ist es mir wichtig, allen Betroffenen – und das sind wir alle – mitzugeben, dass man sich selbst immer wieder sagen kann „die Situation wird vorbeigehen“!

Wir alle haben uns diese Situation nicht ausgesucht, sind ihr in gewisser Weise ausgeliefert, was bei vielen Menschen Hilflosigkeitsgefühle oder sogar frühe Angst- und Verlassenheitsgefühle aktualisiert.

 

Nachdem nun unser normaler Tagesablauf auf den Kopf gestellt ist und wir uns fast täglich auf neue Informationen und Ankündigungen einstellen müssen, ist unsere innere Flexibilität sehr gefordert.

 

Daher gehen vielen von uns diverse Arbeitsabläufe zu Hause bis hin zum Aufräumen und Kochen weniger leicht von der Hand als „vor Corona“. Somit ist ein wichtiger Survival-Tipp von mir: „Verlangen Sie nicht zu viel von sich und ihren Liebsten! Momentan ist nicht die Zeit zur Selbstoptimierung, haben Sie Geduld mit sich und anderen!“

 

 

2. Wie schaffe ich es in einer Zeit, wo unser Alltag Kopf steht, den Bedürfnissen aller gerecht zu werden?

Derzeit ist es natürlich viel schwieriger, allen Bedürfnissen – die eigenen eingeschlossen – gerecht zu werden, als sonst. Hier gilt ebenso: „dies ist auch nicht zu erwarten!“

 

Einige Tipps für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen in der „Corona-Zeit“ (Quelle: Berufsverband der österreichischen PsychologInnen):

 

  • Halten Sie die gewohnte Tagesstruktur ein.
  • Planen Sie klare Lern- und Freizeiten.
  • Definieren Sie klar abgegrenzte Stunden, in denen sich jede/r alleine beschäftigt.
  • Machen Sie gemeinsame Aktivitäten.
  • Ermöglichen Sie Rückzugsmöglichkeiten, um Konflikte zu verhindern bzw. zu reduzieren.
  • Ermöglichen Sie Ihrem Kind körperliche Betätigung im Rahmen der aktuellen Möglichkeiten.
  • Erarbeiten Sie gemeinsam Regeln, wie die gewonnene Zeit bestmöglich genützt werden kann (Familienrat!).
  • Limitieren Sie mit dem Kind gemeinsam die „Screen-Zeiten“ für Fernsehen, Mobiltelefon oder Computer.
  • Erklären Sie Ihrem Kind in altersgerechten Worten die aktuelle Situation.
  • Akzeptieren Sie, wenn Ihr Kind anhänglicher ist als sonst und kommen Sie diesem Bedürfnis Ihres Kindes nach. Es braucht gerade jetzt Sicherheit und Geborgenheit.
  • Verzichten Sie darauf, gerade jetzt große Erziehungsmaßnahmen zu setzen und sehen Sie möglichst von Strafen ab. Versuchen Sie ihr Kind durch Lob positiv zu verstärken und zu erwünschtem Verhalten zu motivieren.

 

 

3. Wie wichtig ist es, dass sich Mütter – trotz Ausnahmesituation – auch um ihre eigenen Bedürfnisse kümmern?

Wir Mütter tendieren manchmal dazu, uns nicht nur zuerst, sondern überwiegend um die Bedürfnisse unserer Kinder zu kümmern. Dabei sollte man im Auge behalten, dass es unseren Kindern emotional besser geht, wenn es uns selbst emotional gut geht. Eine halbwegs entspannte Mutter kann ihre Kinder natürlich wesentlich besser beim Lernen begleiten oder sich anderweitig mit dem Kind beschäftigen, als eine gestresste und genervte Mama.

 

Daher gilt wie sonst auch: Reservieren Sie sich täglich einen Zeitraum, der nur Ihnen selbst gehört, in welchem Sie Dinge tun können, die Ihnen Freude machen und Ihnen Kraft geben!

 

Körperliche Betätigung sollte in irgendeiner Form auch täglich am Tagesplan stehen, denn Körper und Geist gehören zusammen und unsere Stresshormone bauen wir am besten durch körperliche Bewegung ab.

 

 

4. Apropos Tagesablauf: wie können die täglichen Mahlzeiten zu einem harmonischen Familienalltag beitragen?

Gerade jetzt, wenn die ganze Familie viel zu Hause ist, gibt es die Möglichkeit täglich zusammen Mahlzeiten einzunehmen. Gemeinsame Mahlzeiten können nun zum festen Tagesablauf gehören, für die sich alle Familienmitglieder, die zu Hause sind, Zeit nehmen.

 

Wichtig auch hier: Erwarten Sie von Ihren Kindern keine besseren Tischmanieren als sonst.  Im Gegenteil. Unsere Kinder spüren die Nervosität der Erwachsenen. Gleichzeitig sind sie aufgrund ihrer eigenen Einschränkungen oft unausgelastet und zappelig.

 

Kleine Kinder reagieren auf die aktuelle Situation häufig mit motorischer Unruhe, ältere Kinder und Jugendliche sind dann oft „zu vielem unmotiviert“.

 

Dennoch können wir Eltern dafür sorgen, dass gemeinsame Mahlzeiten stattfinden. Und die Kinder je nach Alter in deren Zubereitung sowie beim Aufdecken und Tisch abräumen einbinden.

 

Um für eine möglichst gute Stimmung am Esstisch zu sorgen ist es die Aufgabe der Eltern, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen und wenn nötig zu kontrollieren. So kann das gemeinsame Essen zu einem schönen Ritual oder sogar zum „Tageshighlight“ werden.

 

 

5. Weil hier viele Kleinkind-Eltern mitlesen: „Schmeckt mir nicht!“ gehört für viele zum Familienessen fast dazu. Wie reagieren Eltern auf derartige Äußerungen bestmöglich?

Es ist normal, wenn kleinere Kinder aufgrund ihres Wunsches nach Autonomie bestimmte Speisen einfordern oder ablehnen. Und wie vielen Eltern bekannt ist, schmecken Kindern Speisen wie gekochtes Gemüse, Saucen, Käse, … oft nicht. Jede Familie findet ihren eigenen Weg, damit umzugehen. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass Eltern sich ihrer eigenen Haltungen und Werte klar werden:

 

Wie eingeschränkt darf der Speiseplan meines Kindes sein, sodass ich mich nicht um seine Gesundheit sorgen muss?

 

Dabei sollte man einerseits auf die Wünsche des Kindes eingehen, und andererseits klar vermitteln, was einem als Elternteil wichtig ist. Zugleich sollte man sich nicht auf Machtspiele des Kindes einlassen.

 

Meist spüren wir Eltern sehr genau, wann es sich um ein echtes Bedürfnis handelt (zB. Kind ekelt sich vor Brokkoli) und wann ein Kind hauptsächlich seinen Willen durchsetzen möchte (zB. Kind verlangt nach einem Erdbeerjoghurt statt des Pfirsichjoghurts, welches ihm üblicherweise schmeckt).

 

 

Verena Gutknecht ist Psychologin und systemische Familientherapeutin und selbst Mutter zweier Kinder.

Sie ist Expertin für zwischenmenschliche Konflikte, Lebenskrisen und alle Fragen zur kindlichen Entwicklung.

Derzeit begleitet sie Familien in ihrem neuen Alltag mit Ausgangsbeschränkungen und „Social Distancing“ auch per Telefon und Video-Call. Um den ein oder anderen Knoten aufzulösen und durch Veränderungsimpulse wieder mehr Leichtigkeit in den Alltag zu bringen.

 

Kontakt aufnehmen:

Mag. Verena Gutknecht | Klinische-und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision

Tel: +43 699 10244161 | Email: gutknecht@psychotherapie-psychologie.com

http://psychotherapie-psychologie.com/